Noch weit vom Unicorn entfernt, bildet „ZwEITGEIST“ doch eine kleine Ausnahme im Pioneers-Universum. Schließlich handelt es sich um reine Print-Produkte wie Postkarten, Kalender & Spiele, die sich Julien Lecoeur ausdenkt und vertreibt. Dass diese vor allem kreativ und witzig sind, liegt bei Juliens Vita auf der Hand: Langjährige Arminia-Fans werden sich z.B. an Kampagnen-Motive wie „Ostwestfalen Idioten?!“ oder „We have to fight weiter” erinnern, die aus seiner Feder stammen. Wie Julien vom Werber zum überraschend digitalen Produktentwickler wurde, verrät er im Interview:

Während im Pioneers Club Digitales dominiert, produzierst Du klassische Print-Artikel. Wie digital ist ZwEITGEIST trotzdem?
Stimmt, vor allem die Postkarten sind ein eher klassisches Produkt, das über mehrere tausend Buch- und Geschenkhandels-Displays vertrieben wird. Meine anderen Produkte werden jedoch alle exklusiv bei Amazon verkauft. Hierfür habe ich ein Joint Venture mit einer Agentur gestartet, die auf Amazon-Commerce spezialisiert ist. Vor allem die Produktentwicklung wird von diesem digitalen Umfeld beeinflusst.

Inwiefern?
Ähnlich wie bei digitalen Start-Ups schauen wir: Wo gibt es einen noch unbefriedigten Need oder einen, der dem Konsumenten noch nicht bewusst ist? Welche Nische gibt es? Zum Beispiel unser Familienplaner, ein Amazon-Bestseller mit über 300 Bewertungen: Hier haben wir gesehen, dass es zwar Kalender mit schönen Motiven, aber wenig Funktionalität gibt. Anderseits existieren massig praktische Spalten-Kalender, die aber nicht sehr schön anmuten. Also haben wir beides kombiniert, indem wir einen super schönen UND sehr praktischen Kalender kreiert haben.

Wobei das Entdecken von Produkt-Nischen ja kein rein digitales Phänomen ist, oder?
Richtig, das hat man schon früher gemacht. Aber nicht im heutigen Maßstab. Denn 1. habe ich Märkte und ihre Nischen viel besser und schneller im Überblick und kann anhand bestimmter KPI-Parameter Verkaufspotentiale fast so gut erkennen, wie wenn mir tatsächliche Verkaufszahlen vorlägen. 2. habe ich bei Amazon zwar nur einen einzigen Regal- Platz – aber den sieht ganz Deutschland oder sogar Europa. Ich muss also de facto nur ein physisches Produkt vorrätig haben, bin nach außen aber so sichtbar, wie wenn ich 10.000 stationäre Regale fülle.

Kann man das wirklich vergleichen?
Der Vergleich hinkt etwas. Natürlich ist es nochmal eine ganz andere Reichweite, wenn ich in jedem Edeka zu finden bin. Aber anders als früher muss ich nicht mehr zigtausend Stück produzieren, dazu ein Display bauen, und hoffen, dass sich das Zeug verkauft. Wenn ich bei Amazon eine Nische entdecke, produziere ich das Teil in kleiner Auflage und sehe in wenigen Wochen, ob der Versuch Früchte trägt. Wenn nicht: Nächster Versuch oder Anpassung. Also ähnlich wie bei agilen digitalen Prototyp-Prozessen.

Und dann setzt Du Dich hin und baust einen Kalender, ein Spiel oder eine Postkarte?
Ziemlich genau so. Ich habe das Glück, dass ich in der Werbung als Texter angefangen und schnell auch Kreation gemacht habe. Irgendwann arbeitete ich mich auch in die Adobe- Programme ein. Und als ich später Marketing für Handelsunternehmen machte, habe ich obendrein klassisches Produktmanagement gelernt. Dadurch kann ich alles buchstäblich aus einer Hand kreieren und bin sehr effizient. Aber klar, ohne meine Amazon-Kompagnons hätte ich vermutlich nette Produkte, aber kaum Käufer.

Inwiefern unterscheidet sich diese Vorgehensweise vom zuletzt sehr populären OEM- Sourcing, also dem Vertreiben importierter Artikel unter eigener Marke?
Meistens handelt es sich um beliebig austauschbare Artikel wie USB-Sticks, die einfach mit dem eigenen Logo versehen werden. Am Anfang klappte das gut, inzwischen vertreiben viele asiatische Produzenten aber selbst und fluten den ohnehin übersättigten Markt. Dadurch, dass wir kreative, meist textlastige Produkte anbieten, haben wir eine starke Differenzierung. Vor allem gegenüber Importeuren, die so etwas nicht reproduzieren können, aber auch gegenüber hiesigen Marktbegleitern. Wir haben uns zum Beispiel „Ready to play“-Varianten der bekannten Spiele „Wer bin ich?“ oder „Galgenmännchen“ ausgedacht. Das Konzept klingt banal, bietet aber eine Schöpfungshöhe, die schwer zu kopieren ist.

Am Pioneers-Desk kann man ein paar Deiner Postkarten zum Sonderpreis erwerben. Können Club-Mitglieder auch anderweitig von Dir „profitieren“?
Ich habe mich zwar auf das Entwickeln eigener, physischer Produkte spezialisiert, doch für kreative Content-Kreation bin ich immer offen, wenn das Projekt mich reizt. Ich stamme von Haus aus ja aus Werbung & Marketing. Beispielsweise habe ich eine Social Media-Kampagne zur Bewerbung des größten Junioren-Marketing-Event Deutschlands namens NJT kreiert, die super ankam. Überhaupt kann mich jeder gerne anhauen, der sich über Kreation, Text & Grafik oder eben Amazon-Commerce austauschen möchte.